Der Bildhauer France Gorše
Das künstlerische Schaffen des Bildhauers France Gorše ist ein Spiegelbild seines Lebens und ein Abglanz all dessen, was sich in ihm und um ihn ereignet hat. Der Weg, den er in der Kunst und im Leben durchschritten hat, war lang und wird vielleicht nie zu Ende sein. Seine Kunst wird in jeder neuen Generation einen anderen Widerhall hervorrufen, und jede Generation wird in ihr etwas finden, das ihr entspricht und das neu ist – so wie wir heute in seinem Vorkriegsschaffen neue Dimensionen entdecken.
Das aber heißt, dass seine Kunst viel verflochtener und auch geheimnisvoller ist, als es dem oberflächlichen Betrachter scheint. Manchmal überraschte er uns mit monumentalen Figuren, die etwas von dem enthielten, was die archaische Plastik auszeichnet. Dann wieder lenkte er unseren Blick auf brillante Kleinplastiken, die vom Glück des Lebens kündeten und von jener Wonne, die den Künstler erfüllt, wenn er den Ton knetet und neue Formen und Gegenstände schafft.
Als er die vollplastischen und überraschend eleganten Figuren mit dem paradoxen archaischen Lächeln formte, machte er sich gleichzeitig Gedanken über neue Materialien und über neue Möglichkeiten im bildhauerischen Ausdruck.
Während über ihn als den Meister der Holzplastik geschrieben wurde, überraschte er mit Bronzefiguren; als er im Lichte seiner ersten großen Erfolge der Vorkriegszeit beurteilt wurde, begann er seine Drahtobjekte zu formen; als er als Erbe der Renaissance- ja sogar Barockplastik eingestuft wurde, schuf er eine Reihe von Plastiken, die dem vergeistigten gotischen Ausdruck noch am nächsten kommen.
Gleichzeitig überraschte er seine Zeitgenossen mit seiner Vitalität und Vielseitigkeit. Denn er war nicht nur ein ausgezeichneter Bildhauer, sondern auch Schöpfer von Buchillustrationen, die zu den Besten gehören, die in Slowenien jemals entstanden sind. Als er sich in ehrwürdigem Alter in Suetschach/Sveče in Kärnten niederließ, dachte so mancher, dass er sich nun in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen wollte. Doch für den vitalen Künstler gab es keinen Stillstand, er schmiedete weiterhin Pläne und arbeitete unermüdlich.
France Gorše wurde am 26. September 1897 in Sodražica in Dolenjska, Slowenien, geboren. Er begann sein Studium in Ljubljana und wurde dann zum Militär eingezogen. Bis zum Jahre 1917 blieb er an der italienischen Front. 1920 ging er nach Zagreb, wo er fünf Jahre später – zwischendurch war er ernstlich erkrankt – als einer der Lieblingsschüler des großen kroatischen Bildhauers Ivan Meštrović sein Studium mit dem Diplom abschloss.
Sein Lebensweg, der gleichzeitig sein künstlerischer ist, führte ihn danach von Ilirska Bistrica über Triest und Görz nach Ljubljana, wo er erstmals sesshaft wurde. Bis zum Jahre 1931, als er seine bildhauerische Tätigkeit in Ljubljana aufnahm, hatte er bereits ein beachtliches Opus geschaffen, war er an der Biennale von Venedig vertreten und konnte auf eine Reihe von Ausstellungen verweisen.
Bis zum Jahre 1945, als er zunächst nach Triest, dann im Jahre 1952 in die USA emigrierte, erreichte er in den Laibacher Jahren die künstlerische Reife und gleichzeitig jene Stufe in seiner Entwicklung, die sein Werk zu einem der wesentlichsten Bestandteile der modernen slowenischen Kunst werden ließ.
Sein Leben, sein Werk und seine Ausstellungen auf drei Kontinenten nach dem Jahre 1952 aber zeugen davon, dass der Reifeperiode von Ljubljana eine neue Zeit des Suchens und des neuerlichen Aufschwungs folgte. In knapp zehn Jahren entwickelte er jene besonderen Merkmale in seinem Schaffen, die sich bereits in der Zwischenkriegszeit angekündigt hatten.
Im Jahre 1960 entschied er sich dann für einen ernsthaften Einschnitt – er entdeckte die Möglichkeiten, die der Draht dem Gestalter bietet. Die Drahtplastik wiederum führte ihn drei Jahre später zur Entdeckung seines eigenen Materials, der Nussmasse („orešec“). Das ist ein Gemisch aus Walnusssägemehl und Spezialleim. Gorše bereist die USA, und zweimal macht er sich sogar auf den Weg in die alte Heimat.
1969 wird er für die bildhauerische Ausgestaltung des Marienheiligtums in Washington ausgezeichnet, der Papst empfängt ihn in Privataudienz und im Jahr danach bekommt er den ersten bedeutenderen Auftrag in Slowenien: den Kreuzweg für die neue Kirche in Poljana bei Škofja Loka. Innere Unruhe und unentwegte Sehnsucht führen ihn 1971 nach Europa, wo er sich in Rom niederlässt. Von da reist er nach Kärnten und hält sich eine Zeitlang in Trögern/Korte auf.
Er gestaltet einen Kreuzweg für die Marienkirche in Tezno bei Maribor. Im nächsten Jahr hält er sich vorübergehend in Trögern/Korte auf, und im Jahre 1973 schafft er sich in Suetschach/Sveče in einem alten Bauernhaus neben der Pfarrkirche sein Atelier und eine eigene Galerie. Den Rasenplatz vor seinem Haus gestaltet er mit einer Reihe von Porträtbüsten zu einem einzigartigen Kulturpark. Mitten unter den Darstellungen bedeutender Kärntner Kulturschaffender befindet sich auch sein Autoporträt.
Die Anfänge seines Schaffens waren ganz und gar von seines Meisters Anschauungen von der Bildhauerkunst bestimmt. Trotzdem war er imstande, sehr bald seinen eigenen Weg zu finden. Er langte in die Schatzkammer der archaischen griechischen Plastik, bereicherte sich an der expressionistischen Bildhauerei, studierte mit großem Interesse das bildhauerische Werk Maillols und die Volkskunst. Vor allem aber hegte und vervollständigte er sein angeborenes Gefühl für die plastische Form und für das Material, das in seinen Händen zu einer bereitwilligen und schmiegsamen Masse wird, der er sein schöpferisches „Werde!“ einhaucht. Die reife Phase von Ljubljana brachte zuletzt eine Reihe blendender Arbeiten, die in seinem Atelier entstanden. Neben Porträts wären zumindest einige Akte zu erwähnen (Eva, die Badende), ferner allegorische Figuren (Gruß an den Frühling) und Monumentalplastiken (Hochhaus „Nebotičnik“, Parlament in Belgrad u.a.).
Obwohl ihn in erster Linie das Problem des Formens aus dem Block beschäftigte, ging er doch von der griechischen Archaik aus, studierte er gleichwohl auch das Problem der Bewegung. So entstand eine Reihe hervorragender Plastiken. Hier sei nur das Doppelporträt des Tänzerpaares Pia und Pino Mlakar genannt. Während der intensiven Arbeit, als er den Sinn der Bildhauerei in Großplastiken suchte und als er die unaufhaltsame Bewegung in bleibende Materialien zu bannen bestrebt war, schuf er aber auch eine größere Anzahl von Kleinplastiken, die noch heute überraschend frisch und modern sind. Mit wenigen Zügen deutete er eine weibliche Gestalt an und gab ihr Leben – doch ist es keineswegs ein Abbild der Natur. Eine unansehnliche Skizze wurde so in den Händen des Meisters zu einem Kunstwerk, denn in dem zu ungeahntem Leben erweckten Klumpen Ton sind intensives Reflektieren, schöpferischer Wille und der Blick in die Ziukunft verborgen.
Jedes Werk Goršes spricht nämlich auch von seinem zukünftigen Schaffen, in ihm verbirgt sich eine Ankündigung dessen, was kommen wird. In dieser fruchtbaren Schaffensperiode erreichte er einen hohen Grad an Vergeistigung in der sakralen Plastik (Betende Frau, 1937; Madonna, 1938; Pieta, 1938 us.a), gleichzeitig aber eine außergewöhnliche Ausgeglichenheit zwischen der vollen, plastischen Form und der inneren Spannung in seinen Kompositionen, die vornehmlich der Schönheit des menschlichen Körpers gewidmet sind. In der Bauplastik (für das Parlament in Belgrad, für das Hochhaus „Nebotičnik“ in Ljubljana, für das Gebäude in der Celovška cesta in Ljubljana) gelang ihm die Neuentdeckung vergessener Prinzipien der slowenischen gotischen und barocken Plastik. Vor allem aber vermochte er die bildhauerische Form in ungekünstelter, überzeugend einfacher Weise mitzuteilen, ohne überflüssige Details, in einem Stück.
In den ersten Jahren der Emigration (nach 1945) widmete er sich vor allem der Kleinplastik und der Zeichnung. Diese Arbeiten entstanden neben seiner Lehrtätigkeit am slowenischen Gymnasium von Triest und neben seiner zeitweisen Mitarbeit am Triestiner Radio. In dieser Zeit verfestigten sich jene Erkenntnisse, die er in den Laibacher Jahren gewonnen hatte. Zu diesem Zeitpunkt würden wahrscheinlich die meisten Menschen das Erreichte zu erhalten versuchen. Dennoch obsiegte der künstlerische Wille.
In den 50er Jahren fing er eigentlich wieder von Neuem an. Er ging nach den USA, die ihn mit ihrem „way of life“ und ihrer Dynamik faszinierten. Hier begann er nun neue Anregungen aufzunehmen. Hier entwarf er auch eine größere Anzahl von Plastiken (zunächst in Drahtkonstruktion, später in Walnussmasse), die wir als Goršes Gothik bezeichnen können. Es ging ihm in erster Linie darum, einen hohen Grad an Vergeistigung und Schwerelosigkeit zu erreichen. In den sakralen Kompositionen, die wie ungegenständliche Erscheinungen wirken, bekommen wir eine Ahnung davon, wie sich die Gestalten zum Himmel erheben und ihre irdische Schwere ablegen. Realistische Details gibt es kaum noch, die künstlerische Sprache ist in der Kontur und in der malerisch bearbeiteten Oberfläche verdichtet.
Und dennoch bewahrten die Werke all das, was Gorše in der Plastik geschaffen hatte – vom ehrfurchtsvoll und mit viel Fingerspitzengefühl gestalteten Material bis zur reinen Form.
Die expressionistischen Komponenten seiner Kunst, die vor allem in seinen frühen, jugendlichen Werken spürbar waren, erstanden in seiner amerikanischen Phase in pointierter Form zu neuem Leben.
(Janez Sedej; aus dem Slowenischen von Janko Zerzer)